Franziska Windt (SPSG) PDF

Unter dem musikbegeisterten preußischen König, Friedrich II., dem Großen, blühten Oper und Theater in Berlin und Potsdam auf. In ganz Europa ließ der König Ausschau halten nach guten Musikern, Sängern, Tänzern und Schauspielern, und er ließ die Spielstätten in den Schlössern ausbauen oder das Opernhaus unter den Linden neu errichten. Auch das Potsdamer Stadtschloss erhielt einen neuen Komödiensaal, der ab 1745 von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff in den Kopf des zum Markt weisenden Ostflügels gebaut und in den folgenden Jahren eingerichtet wurde.[1] Die Gestalt des Theaters mit einem halbkreisförmigen Zuschauersaal ist überliefert durch die Grundrisse und Schnittzeichnungen, die sich in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) und der Nationalbibliothek in Warschau erhalten haben.[2]
An der Ausstattung waren der Bildhauer Christian Friedrich Glume und der Dekorateur Johann Christian Hoppenhaupt, die Maler Innocente Bellavite und Wilhelm Höder beteiligt. Dazu kam 1748 Charles Amédée Philippe Van Loo, aus einer ursprünglich flämischen, im 18. Jahrhundert aber in Italien und Frankreich wirkenden Malerfamilie. Nachdem der König eigentlich dessen berühmteren Onkel Carle Van Loo nach Preußen hatte holen wollen, dieser sich aber geweigert hatte, Paris zu verlassen, engagierte Friedrich Amédée als Hofmaler. Aus Paris kommend, erreichte der Maler mit seiner Frau im März Berlin und, wie der König seiner Schwester Wilhelmine nach Bayreuth schrieb, beauftragte er ihn sogleich mit der Gestaltung des Deckengemäldes für das neu erbaute Komödientheater im Potsdamer Stadtschloss.[3] Mit Vollendung dieses Deckenbilds, für die der Maler zusätzlich zu seiner monatlichen Pension von 145 Reichstalern und 20 Groschen 1000 Reichstaler erhielt, waren die Arbeiten in dem Theater im Oktober 1748 abgeschlossen.[4] Wir wissen nicht, ob der Maler von seinem Vater Jean-Baptiste Van Loo auch als Freskant ausgebildet wurde, Amédée jedenfalls führte dieses und seine später entstandenen Deckengemälde alle auf Leinwand aus.
Schon im selben Jahr wurde das Theater eingeweiht mit dem musikalischen Intermezzo „l Giocatore“ oder „Der Spieler: Ein Musikalisches Zwischenspiel“, das „auf Sr. Königl. Maj. in Preussen allergnädigsten Befehl auf den neuen Schauplatz zu Potsdam soll aufgeführet werden“.[5] Als Aufführungsort für musikalische Intermezzi und Opere Buffe, die kostenfrei zu besuchen waren, hatte die Bühne eine ganz eigene, wichtige Funktion unter den vom König unterhaltenen Spielstätten.[6]
Das Theater bestand nicht mehr sehr lange nach Friedrichs II. Tod. König Friedrich Wilhelm III. ließ es 1800 oder 1801 in Wohnungen umwandeln.[7] Das Deckengemälde wurde in das 1801 neu erbaute Königliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt verbracht, wo es jedoch bereits 1817 verbrannte. Aus diesem Grund haben wir, abgesehen von einer Beschreibung dieses Werks durch Friedrich Nicolai 1786, bislang keine Vorstellung davon, wie das Gemälde ausgesehen hat. Nicolais kurze Darstellung aber erlaubt es uns, eine bis dato einem anderen Maler zugeschriebene Ölskizze als vorbereitende Arbeit Amédée Van Loos für das Deckengemälde zu identifizieren. Es heißt dort: „Die Decke, von Amadeus Vanloo gemalt, stellt Apollo mit vier Musen vor; besonders schön zeichnet sich darunter der Tanz aus.“[8]
Diese Angaben Nicolais entsprechen einer 2022 im Kunsthandel angebotene Ölskizze, die dort dem Umfeld von Jean-Baptiste Marie Pierre zugeordnet wurde.[9] Dargestellt ist der auf Wolken lagernde Apoll in einem Lichtkranz, bekleidet mit einer roten Draperie und einer Leier in der Hand. Rechts oberhalb erscheinen die Säulen eines Rundtempels. Links unterhalb des Apoll, ebenfalls auf Wolken, tanzt Terpsichore, Muse der Chorlyrik und des Tanzes, mit einem Tambourin in der Hand. Links neben ihr begleitet sie ein Trommel schlagender Putto, ein weiterer zupft an einem Saiteninstriument. Direkt unterhalb Apolls lagert eine Muse, die mit ihren zwei Lorbeerkränzen und den Büchern entweder als Klio, Muse der Geschichtsschreibung, oder als Kalliope, Muse der epischen Dichtung, zu identifizieren ist, oder beides verkörpert. Daneben, aber weiter im Vordergrund, blickt die Muse Thalia, Verkörperung der Komödie, mit einer Theatermaske in der einen und einer Schalmei in der anderen Hand keck auf den Betrachter hinab. Etwas weiter rechts spielt die Muse der Liebesdichtung, Erato, auf einer Violine. Neben ihr hält ein Putto eine brennende Fackel, vielleicht Hymenaios, Sohn des Apoll und einer Muse oder ein Symbol von Leidenschaft und Liebe.
Die Ölskizze fügt sich stilistisch in das Werk von Amédée Van Loo ein. Eine große Übereinstimmung in der Gestaltung der Figuren zeigt besonders der Vergleich mit dem später entstandenen Deckengemälde im Marmorsaal des Neuen Palais. Auffällig ist dies bei der Violine spielenden Erato und der herabblickenden Thalia. Diese Figuren bilden die Grundlage für die Musen Erato und Klio im 1768 entstandenen Deckengemäldes des Neuen Palais.[10] Der skizzenhafte Pinselstrich findet sich in der Ölskizze zu dem Deckengemälde im Neuen Palais wieder.[11]
Auffällig ist die von Nicolai erwähnte Beschränkung der Darstellung auf vier der sieben oder neun kanonischen Musen. Hintergrund dafür könnte der Charakter der Bühne gewesen sein, auf der, anders als im Opernhaus in Berlin, in dem die Opera seria gegeben wurde, nur das Segment der leichteren Musik, nämlich Intermezzi per Musica bzw. Stücke der Opera buffa und Komödien gespielt wurden.[12] Die Musen Polyhymnia, Muse der Rhetorik, Urania, Muse der Sternkunde, und Melpomene, Muse der epischen Dichtung, hätten zu diesem Programm nicht gut gepasst.
Das Thema „Apoll und die Musen“ hatte 1742 schon der langjährige Hofmaler Antoine Pesne für den Musiksaal im Berliner Schloss gestaltet.[13] Von diesem Werk hat sich wahrscheinlich eine Ölskizze erhalten, die sich heute im Besitz der SPSG befindet.[14] Anders als Van Loo zeigt Pesne Apoll aufrecht stehend auf einem Wolkenband über der inspirierenden kastalischen Quelle auf dem Parnass zusammen mit Minerva, Göttin des Krieges und der Weisheit, Pegasus und sieben Musen. Die Anlage der Komposition deutet darauf hin, dass das Bild für eine senkrechte Präsentation angelegt war, und es sich damit eher um den Entwurf für einen Theatervorhang, als um ein Deckengemälde zu handelt.[15]
Die Ölskizze Amédée Van Loos für das Potsdamer Theater dagegen ist offensichtlich auf eine Untersicht angelegt. Zudem nahm die Komposition, in der die Hauptfiguren des Apoll und der Musen sich kreisförmig in der Mitte konzentrieren, wahrscheinlich Rücksicht auf die Halbkreisform des Zuschauerraums, über dem das ausgeführte Gemälde angebracht war. Vorstellbar ist, dass dort der untere Abschluss, der auf der Ölskizze etwas abrupt wirkt, noch anders gestaltet war. Trotz dieser Einschränkungen ist die Skizze auch insofern bemerkenswert, als sie das erste von Amédée geschaffene Deckengemälde zeigt. Ihre Neuentdeckung stellt eine bedeutende Erweiterung des frühen Schaffens dieses preußischen Hofmalers dar und trägt zum Verständnis der Bemühungen Friedrichs II. bei, das kulturelle Leben in Potsdam zu fördern und der sich neu entwickelnden Musikgattung der Opera buffa einen attraktiven Aufführungsort zu bieten.
[1] Herbert A. Frenzel: Brandenburg-preussische Schlosstheater. Spielorte u. Spielformen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 1959 (= Gesellsch. f. Theatergeschichte e.V, Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, 59), S. 52-58.
[2] SPSG, Unbekannter Zeichner, Grundriss des Theaters, um 1800, SPSG, GK II (1) 7664. Sergej Gorbatenko: Das Theater im Stadtschloss Potsdam: wiederentdeckte Zeichnungen aus der Sammlung Rastrelli, in: Museumsjournal, 23, 2010, (3), S. 11–13.
[3] Œuvres de Frédéric le Grand, hrsg. von Johann David Erdmann Preuß, 30 Bde., Berlin 1846-1856, Bd. 27,1, S. 176: 8. März 1748: „Le peintre Vanloo est arrivé. Je lui ai proposé pour son début de faire le plafond de la salle de comédie que je fais faire ici.“
[4] Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), BPH, Rep. 47 Friedrich II., Schatullrechnungen Friedrichs II., 1742-1786, 1748, Nr. 901, Blatt 20, Oktober 1748: 14. „dem Mahler Vanlo [Van Loo] Vor ein Blafon [plafond] zu Mahlen L. Q. [/] 1000 Rtl.“ – GStA PK, VI. HA NL Stengel, Nr. 5, Beleg Stengel-Nr. 502, Beleg Nr. 391: „mille écus d’allemagne pour le payment du plafond que j’ai fait […] pour la salle de comédie de Potsdam („Commedie de potsdam“) [/] Berlin 24. Okt. [o. J.] Vanloo“.
[5] https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb00054932.
[6] Andrea Karoline Zedler, Lena van der Hoven, Kordula Knaus, Heike Brökel, Tom Brökel: Die Opera buffa in Europa. Verbreitungs- und Transformationsprozesse einer neuen Gattung (1740-1765). Bielefeld 2023 (Vernetzen – bewegen – verorten. Kulturwiss. Perspektiven, 3), S. 236-239.
[7] Frenzel 1959 (wie Anm. 1), S. 54.
[8] Friedrich Nicolai: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten und der umliegenden Gegend, 3 Bde., 3. Aufl., Berlin 1786, Bd. 3, S. 1139.
[9] Onlineauktion Christie´s 21747, 28.11.2022, lot 438.
[10] Franziska Windt: „Ändere den Namen und die Geschichte handelt von Dir“ – König Friedrich II. von Preußen und die malerische Ausstattung des Marmorsaals im Neuen Palais von Sanssouci. (6. November 2024). Neu bei „Kulturgeschichte Preußens – Vorträge und Forschungen“. Research Center Sanssouci. <https://doi.org/10.58079/12mmk, Abb. 7., 24. September 2025>
[11] Siehe Windt 2024 (wie Anm. 10), Abb. 3.
[12] Siehe Zedler, van der Hoven, Knaus 2023 (wie Anm. 6), S. 164, S. 236-239, S. 255, S. 257.
[13] Charles Étienne Jordans berichtet in einem Brief an Friedrich II. vom 12. Juni 1742 davon: „La salle de musique sera faite samedi prochain: elle représente le Parnasse et les Muses; dans une quinzaine de jours, il y en aura encore deux d’achevées. On ne saurait être plus assidu à son travail que ne l’est Pesne.“, in: Œuvres de Frédéric le Grand (wie Anm. 3), Bd. 17, S. 249.
[14] Antoine Pesne, Apoll und die Musen, Öl auf Leinwand, 56 x 81 cm, SPSG, GK I 30292.
[15] Siehe Helmut Börsch-Supan: Die Gemälde Antoine Pesnes in den Berliner Schlössern. Berlin: Verwaltung d. Staatl. Schlösser u. Gärten (Aus Berliner Schlössern, 7), Berlin 1982, S. 55-57.
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Franziska Windt: Apoll und vier Musen – Zur neu entdeckten Skizze des verlorenen Deckengemäldes von Amédée Van Loo für den Komödiensaal im Potsdamer Stadtschloss, in: BildGeschichte #36, 14/10/2025, URL: https://recs.hypotheses.org/?p=15424.
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Redakteur: Jürgen Luh (14. Oktober 2025). BildGeschichte #36: Apoll und vier Musen – Zur neu entdeckten Skizze des verlorenen Deckengemäldes von Amédée Van Loo für den Komödiensaal im Potsdamer Stadtschloss. Research Center Sanssouci. Abgerufen am 16. November 2025 von https://doi.org/10.58079/14xyy
